«Yannick, unser Superheld!»
Die Schwangerschaft mit Yannick und seine Geburt waren eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Nachdem Marvin, Yannicks Bruder, zwei Jahre zuvor problemlos und gesund die Welt erblickt hatte, wurde ich ein Jahr später bereits wieder schwanger. Als die Ärzte auf dem Ultraschall beim Baby geblähte Darmschlingen erkannten, machten ich und mein Mann uns Sorgen. Wir wurden erstmals mit dem Verdacht auf CF konfrontiert, glaubten aber weiterhin an einen Irrtum der Ärzte und an unser Glück.
Yannick kam im Januar 2015 nach einer langen, anstrengenden Geburt im Kantonsspital Baden zur Welt. Die Kinderärzte standen sofort zur Stelle, um ihn zu untersuchen und stellten fest, dass er Mühe mit Atmen hatte. Nach drei Tagen zur Beobachtung auf der Neonatologie kam dann die Entwarnung: Yannick atmete selbst und schien gesund. Wir waren glücklich und erleichtert. Doch noch im Wochenbett kamen die Sorgen wieder. Yannick hatte alle zwei Stunden Hunger, nach dem Trinken Bauchweh und Schmerzen, und wir mussten die Windeln häufiger wechseln als normal war. Ein ewiger anstrengender und kräftezehrender Kreislauf. Zudem bewegte sich das Gewicht von Yannick abwärts anstatt aufwärts. Gerade, als unsere Hebamme aus der Wochenbettbetreuung vorschlug, Yannick nochmals im Spital untersuchen zu lassen, kam der Anruf aus dem Kantonsspital Aarau mit dem Testergebnis des Neugeborenen-Screenings (Guthrie-Test): Yannick wurde positiv auf CF getestet.
Stammgast im Spital
Der erste Infekt liess nicht lange auf sich warten: Bereits im April 2015, drei Monate nach seiner Geburt, hustete Yannick so stark, dass er ständig seinen Schoppen erbrach. Wir wollten einen Rachenabstrich beim Kinderarzt machen. Dieser rief jedoch nach einer kurzen Untersuchung sofort den Krankenwagen, da Yannicks Sauerstoffsättigung bereits derart tief war, dass er vor lauter Erschöpfung Mühe hatte, überhaupt noch zu atmen. Ein grosser Schock für alle!
So musste Yannick mit knapp vier Monaten bereits zehn Tage im Spital verbringen. Er bekam Sauerstoff und konnte sich erholen. Leider zeigte sich, dass Yannick sehr anfällig für Infekte war: Von der Geburt bis zu seinem zweiten Lebensjahr erkrankte er an jedem Infekt, den es irgendwo aufzulesen gab, obwohl wir ihn schützten, so gut es ging. Als Familie entwickelt man eine Routine und erkennt bald selbst, wann es kritisch wird und Yannick während eines Infektes Hilfe beim Atmen benötigt und ins Spital muss. Wir haben heute noch einen «Pulsoximeter» zu Hause, um bei Unsicherheit seine Sauerstoffsättigung messen zu können. Doch heute, wo er sich mitteilen kann, ist dies kein Problem mehr.
Vor allem im Herbst und Winter waren wir immer wieder in der Notaufnahme beziehungsweise in der Kinderstation des Kantonsspitals Aarau. Das Personal kannte uns – wir waren ja praktisch Stammgäste. Es war eine sehr schwierige Zeit für die ganze Familie. Neben der Vollzeitstelle meines Mannes Roland und meiner Teilzeitstelle, mussten wir auch die Betreuung von Marvin unter einen Hut bringen. Die meiste Zeit verbrachte ich bei Yannick im Spital, Roland löste mich ab, so oft es ging. Marvin durfte viel Zeit bei seinen Grosseltern verbringen, was ihm gut gefiel. Nur anfangs war er traurig und etwas eifersüchtig, weil ich so viel Zeit mit Yannick im Spital verbrachte. Er stellte sich wohl vor, dass wir den ganzen Tag Spass hatten. Doch als er Yannick einmal im Spital besuchen durfte und wir ihm alles zeigten, erkannte er, dass der Aufenthalt dort alles andere als Spass macht. Von da an war er froh, bei «Omi» und «Opi» zu sein, während wir im Spital waren.
Essen, ein schwieriges Thema
Yannick kämpfte leider bereits in jungen Jahren ständig mit seinem Gewicht: Er war zu leicht und zu klein. Essen wurde zu einem schwierigen Thema. Wie soll man ein Kind, das keinen Hunger verspürt, zum Essen animieren? Noch schwieriger bei einem CF-Kind, das im Idealfall die doppelte Menge an Kalorien zu sich nehmen sollte? Wir versuchten alles: griechischer Joghurt, Vollrahm, Süsses und diverse «Shakes». Wir machten uns und Yannick mit der Zeit so grossen Druck, dass er eines Tages gar nicht mehr essen wollte. Da entschieden wir uns für einen Rehabilitationsaufenthalt in der Hochgebirgsklinik Davos. Ich verbrachte zehn ruhige Tage mit Yannick und konnte mich voll und ganz auf ihn und unseren Alltag konzentrieren. Wir erhielten umfangreiche Unterstützung: Ernährungsberatung, psychologische Betreuung, Physiotherapie und ärztliche Beratung. Yannick besuchte täglich ein paar Stunden die interne Spielgruppe, während ich mich in Bezug auf unseren Alltag beraten und fortbilden liess. Nach diesem Aufenthalt wurde Yannick zwar nicht zum grossen Esser, aber der Druck hatte etwas nachgelassen und wir lernten, besser mit dem Thema umzugehen. Bis heute bleibt Essen zwar ein schwieriges Thema, aber Yannick trinkt zweimal täglich einen hochkalorischen «Fresubin-Drink», damit sein Grundumsatz an Nährstoffen gesichert ist.
Unser Lausbub
Ab seinem zweiten Lebensjahr musste Yannick für mehrere Jahre wegen keines Infektes mehr stationär behandelt werden. Mit Antibiotika und häufigerem Inhalieren hatten wir die Infekte gut im Griff, und es wurden ständig weniger. Unsere Familie hat sich für einen gesunden Mittelweg zwischen Hygiene und Leben entschieden, und wir lassen Yannick fast alles erleben, was er möchte. Er kennt mittlerweile seinen Körper und seine Krankheit so gut, dass er selbst weiss, wann es für ihn schwierig werden könnte. Er meidet beispielsweise Orte, wo «Pseudomonas»- Bakterien vorkommen könnten und nimmt selbständig und verlässlich seine «Creon»-Kapseln zum Essen. Wir inhalieren jeden Tag mindestens zweimal mit ihm, wobei er meistens gut mitmacht. Und einmal pro Woche fahren wir zu Nicole, unserer herzensguten Physiotherapeutin.
Yannick besuchte während zwei Jahren den Kindergarten und war wohl weniger krank, als alle anderen Kinder zusammen. Auch in der ersten Klasse, in der er diesen August gestartet ist, hatte er bis jetzt keine Probleme. Ich habe im Vorfeld das Gespräch mit der Lehrerin gesucht, Informationen geliefert und ihr so die Unsicherheit genommen. Jetzt klappt alles wunderbar, und Yannick hat in der Schule sogar eine eigene Toilette mit Deckel! Auch bei seinen Freunden ist er gut integriert, wird zu Geburtstagspartys eingeladen, spielt aktiv im Unihockey-Club und besucht die «Jugi» (Jugendriege). Wenn man die Kinder, deren Eltern und das Umfeld offen informiert, nimmt man ihnen von Anfang an die Unsicherheit im Umgang mit Yannick und seiner Krankheit. Aussenstehende sind dann immer wieder überrascht, wie problemlos dies ist.
Erste intravenöse Therapie
Leider hat Yannick Anfang dieses Jahres das «Pseudomonas» eingefangen. Trotz intensivem Inhalieren mit «Tobi» brachten wir den «Käfer» nicht weg. So verbrachten wir zwei Wochen der diesjährigen Sommerferien in der Kinderklinik in Aarau. Ich war rund um die Uhr bei Yannick; Roland hat mich abgelöst, so oft es ging. Zum Glück konnte er auf seinen flexiblen Arbeitgeber zählen und spontan eine zusätzliche Woche Ferien beziehen. So konnte er sich auch abwechselnd mit den Grosseltern um Marvin kümmern. Trotz allem, eine Ausnahmesituation für unsere Familie. Auch für Marvin, der inzwischen bedeutend älter ist, war diese Zeit schwierig. Er hatte Angst um Yannick und vermisste mich sehr. Roland und ich nahmen uns immer wieder Zeit, um mit Marvin etwas allein zu unternehmen; um ihm zu zeigen, dass auch er wichtig in unserem Leben ist. Es dreht sich nun mal sehr vieles um Yannick, aber Marvin wird deshalb nicht weniger geliebt und weiss das auch. Trotzdem ist es wichtig, ihm das immer wieder zu zeigen.
Für Yannick startete die Therapie sofort: alle 8 Stunden eine Antibiotika-Infusion und täglich intensive Atemphysiotherapie. Natürlich gehörten auch Röntgen, Ultraschall, Bluttests und andere Untersuchungen zum Programm. Yannick ist der mutigste Junge, den ich kenne! So viele verschiedene Ärzte untersuchten ihn, mussten Blut nehmen, legten Infusionen und verlangten viel von ihm. Er kennt das, bleibt ruhig, reklamiert nicht, und geweint hat er noch nie. Er will immer genau wissen, was die Ärzte da an ihm machen und scheut sich nicht, zu fragen. Viele Ärzte und Pflegefachfrauen kannten ihn noch von den früheren stationären Aufenthalten als Baby. Sie haben sich mit mir über die tolle Entwicklung dieses aufgestellten und mutigen Jungen gefreut. Überhaupt, Yannick ist sehr beliebt: Alle seine Freunde haben viel an ihn gedacht und ihm während des Spitalaufenthalts Karten, Briefe, Zeichnungen, Geschenke und Süssigkeiten geschickt. «Besser als Weihnachten!», fand er. Er hängte alle Briefe im Spital auf, was sein Zimmer, gemäss Personal, zum schönsten der ganzen Station machte. Einmal pro Tag machte Yannick wilde Turnübungen mit der Physiotherapeutin und spielte danach mit der Spitallehrerin Brett- und Kartenspiele. Sie verlor zwar stets, kam aber trotzdem jeden Tag gerne wieder.
Abends und nachts war es im Kantonsspital Aarau oft unruhig: Helikopter, Krankenwagen und aufgeregte Stimmen aus der Notfallabteilung. Ich machte mir viele Gedanken darüber, welche Schicksale und Tragödien sich in diesem Haus wohl täglich abspielen und bin froh, geht es Yannick trotz CF sehr gut. Seit Dezember 2020 nimmt Yannick «Orkambi». Sein Gesundheitszustand hat sich merklich stabilisiert und er legt endlich etwas an Gewicht und Grösse zu. Wir erhoffen uns von diesen Medikamenten der neuen Generation eine Verlängerung der Lebenserwartung und natürlich eine verbesserte Lebensqualität für unseren kleinen Kämpfer wie für alle CF-Betroffenen. Ein starkes (Familien-)Team Wir sind eine starke Familie und ein eingespieltes Team. Alle helfen und sind für einander da. Unverzichtbar für unser Team sind auch «Omi» und «Opi», die sich genauso mit CF auskennen wie wir. Auf sie können wir jederzeit für den «Hütedienst» zählen, auch über Nacht. Dabei müssen wir uns keine Sorgen machen, weil auch sie mit Yannick inhalieren und genau wissen, welche Medikamente wann zu geben sind.
Bis heute ist auch der Austausch mit anderen «CF-Eltern» für mich unverzichtbar und wertvoll. Unser Aargauer Regionalgruppenleiter von Cystische Fibrose Schweiz (CFS) führt beispielsweise einen WhatsApp-Chat mit Tipps, Tricks und Fragen rund um CF. Ausserdem treffe ich mich regelmässig mit den regionalen «CF-Mamis», die ich über CFS kennengelernt habe, zum gemütlichen Nachtessen. Das Gespräch mit Gleichgesinnten tut gut und hilft im Umgang mit unseren besonderen Kindern.
Yannick ist unser Superheld und meistert sein Schicksal mit Gelassenheit und einer gehörigen Portion «Coolness». Er sagt von sich, dass er eine «kranke Lunge» hat, nicht mehr oder weniger. Für ihn etwas ganz Normales, was ihn im Alltag nur wenig und wenn, dann nur temporär behindert. Durch unseren besonderen Sohn und Bruder haben wir als Familie gelernt, das Leben und die Gesundheit zu schätzen. Ich mache mir keine Sorgen mehr über Dinge, die vielleicht irgendwann kommen, sondern lebe im Moment.
Text: Claudia Erne, Mutter von Yannick (7)